Wie liegt die Stadt so verlassen
Von Pastor Jena Mahlmann, Nendorf und Raddestorf
Während ich die Nachricht verdaue, 40.000 t Getreide seien bei einem Angriff in Flammen aufgegangen, frage ich mich für einen Augenblick, ob es wirklich noch an der Zeit ist, der Zerstörung Jerusalems vor 1.963 bzw. 2.610 Jahren zu gedenken. (Das wäre nämlich eine der beiden Möglichkeiten, den morgigen Sonntag inhaltlich zu begehen.) Städte, Siedlungen die durch Kriege verwüstet worden sind, haben wir schließlich die ganze Geschichte hindurch reichlich zu beklagen, auch in uns näherer Zeit:
Ai (um 2.400 v. Chr.)
Troja (mehrfach)
Jerusalem (587 v. Chr.)
Karthago (146 v. Chr.)
Chang’an (23 n. Chr)
Jerusalem (70 n. Chr.)
Luoyang (190 n.Chr.)
Taxila (6. Jahrhundert n. Chr.)
Tenochtitlán (1521 n. Chr.)
Magdeburg (1631 n. Chr.)
Guernica (1937 n. Chr.)
Coventry (1940 n. Chr.)
Dresden (1945 n. Chr.)
Hiroshima (1945 n. Chr.)
Son My/My Lai (1968 n. Chr.)
Mariupol (2022 n. Chr.)
Doch insbesondere die Erinnerung an Jerusalems Zerstörung lässt mich schaudern. Welch eine Spur des Leidens, des Schmerzes und nicht zuletzt des Hasses zieht sich von diesem Ereignis aus durch die ganze folgende Geschichte! Was damals angerichtet wurde, wirkt sich bis in unsere Zeit aus. Wer verbürgt nun, die Nachwirkungen anderer Zerstörungen verliefen glimpflicher? Versöhnlicher?
„Ihr sollt wissen: wir hassen euch“, hat der Bürgermeister von Odessa jüngst seine Gefühle ausgedrückt. Ausdrücklich auf Russisch, damit die Botschaft ankomme. Wer könnte ihn nicht verstehen? Gerade das aber ist es, was schaudern lässt in Erwartung des Kommenden.
Einen Lichtblick wirft, womit sich die Hamburger Uni im Mai befasste: zerstörte Städte werden selten aufgegeben. Meistens findet sich ein Weg, über die Zerstörung wieder hinauszukommen. Also enden auch die Klagelieder über das zerstörte Jerusalem: „Bringe uns, Herr, zu dir zurück, dass wir wieder heimkommen; erneuere unsere Tage wie vor alters.“
Nur warum muss man dann erst alles kaputtmachen?
Ihr
Jens Mahlmann, P.