Der Talar
Von P. Ingo Krause, Warmsen
Ich habe ein Urlaubsritual. An meinem ersten Urlaubstag im Sommer schnappe ich mir meinen Talar und bringe ihn zur Reinigung. Und gerne mache ich dann noch ein Foto vor der Textilreinigung, um meinen Freundeskreis wissen zu lassen, dass ich alles Dienstliche nun abgelegt habe und in den Entspannungsmodus umgeschaltet habe. Am letzten Tag meines Urlaubs hole ich den Talar wieder ab und freue mich, ihn gereinigt und gestärkt in meinem Amtszimmer auf den Bügel hängen zu dürfen.
In diesem Jahr habe ich meinen Talar allerdings nicht zur Reinigung, sondern zur Post gebracht. Nach 32 Jahren bedarf er einer etwas aufwändigeren Pflege. Der Wollstoff ist an einigen Stellen aufgeraut. Dem Druckknopf am Kragen fehlt das Gegenstück und der Stehkragen muss aufgearbeitet werden. Die Firma, die meinen Talar vor 32 Jahren genäht hat, nimmt sich nun seiner an und sendet ihn hoffentlich rechtzeitig zu meinem Dienstbeginn zurück.
Ich habe in meinem Kleiderschrank kein Textil, das ich schon so lange besitze und so regelmäßig nutze. Und ich habe schon viel mit meinem Talar erlebt. Er hat die Kerzenwachsspuren aus den Osternächten und Adventsandachten ausgehalten, er wurde auf dem Friedhof so manches Mal völlig vom Regen durchnässt und an heißen Sommertagen durchaus auch mal von innen mit Schweiß durchfeuchtet, so manches Kleinkind hat sich bei der Taufe in seinen Ärmeln festgekrallt und beim Abendmahl hat er geduldig den einen oder anderen Traubensaftfleck ertragen. Das Wort Talar kommt aus dem Lateinischen: „talus“ ist der Fußknöchel und so ist ein Talar ein Gewand, das bis an die Fußknöchel reicht.
Ursprünglich war der Talar an den mittelalterlichen Universitäten das Gelehrtengewand, das die Professoren trugen. Die Priester trugen dagegen ein weißes Messgewand. Das änderte sich, als der Reformator Martin Luther für seine Predigten den schwarzen Talar trug, den er auch als Universitätsprofessor der Theologie trug. Er wollte mit dieser Kleidung die Verkündigung und Lehre des Wortes Gottes in seinen Gottesdiensten in den Mittelpunkt stellen. Im Jahr 1811 wurde in Preußen durch König Friedrich Wilhelm III. der Talar verbindlich eingeführt. Somit wurde der Talar zur "Dienstkleidung". Er wurde zum Zeichen für den wichtigsten Auftrag, den Pastor*innen haben: Sie reden und arbeiten im Auftrag von Gott. "Wir sind Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott!“ (2 Kor 5,20).
So wie mein Talar muss auch die Botschaft des Evangeliums immer wieder ertüchtigt werden. In dieser Zeit, die sich mit den Begriffen „Enttraditionalisierung, Individualisierung und Gewinnorientierung“ charakterisieren lässt, bedarf es immer wieder neuer Versuche, die Einladung des christlichen Glaubens durch Wort und Tat erfahrbar zu machen. Ich freue mich darauf, in zwei Wochen meinen überarbeiteten Talar aus dem Postkasten zu holen und das Evangelium frisch und einladend weiterzugeben.
Ihr
Ingo Krause, P.