Draußen vor der Stadt – Gedanken zum Sonntag Judika
„Wir haben hier keine bleibende Stadt.“ So sagt es der Hebräerbrief. Genau das ist die Erfahrung, die momentan unser Leben so tief prägt: Es gibt keinen Ort, der wirklich sicher ist. Man kann in dieser Welt hinschauen, wo man will - ganz gleich in welche Gegend dieser Erde. Ob es nun der Krieg im Osten Europas ist oder ob es die Naturkatastrophen sind, wie sie vor wenigen Wochen in der Türkei und in Syrien gewütet haben. Man ist nirgends sicher.
Im Neuen Testament heißt es, dass wir eine „zukünftige Stadt“ suchen. Dass wir also auf die Zukunft hin orientiert sind. Und dass es diesen Ort wirklich geben wird, an dem wir uns sicher und aufgehoben fühlen werden. Aber gelingt uns das wirklich? Ist es nicht gerade das Kennzeichen dieser Zeit, dass auch die Zukunft „in den Sternen steht“, wie man zu sagen pflegt? Niemand weiß ja, wie lange der Krieg in Europa noch dauern und wie er enden wird. Niemand weiß, ob das Coronavirus eine einmalige Erscheinung ist, oder ob wir möglicherweise auch künftig ähnliche Epidemien befürchten müssen. Niemand weiß, ob nicht auch wir irgendwann durch die Folgen des Klimawandels mit Naturkatastrophen bei uns rechnen müssen. Was kann in dieser Situation helfen? Vielleicht die Erfahrung, dass wir nicht allein sind.
Im Hebräerbrief wird davon geschrieben, dass Jesus hinaus vor die Stadt gehen musste. Dieses Wort spielt auf die Leidensgeschichte und die Passion Jesu an. Jesus hat die Sicherheit des Lebens dahingegeben. Er selbst hat existentiell die Bedrohungen des Lebens erlitten – bis hin zum Tod. Das sagt mir, dass Jesus auch mitten in den Problemen und Krisen unseres Lebens neben uns steht, mitten in unserem Alltag - ganz innig zugewandt.
Der Hebräerbrief lädt uns ein, „mit Jesus hinauszugehen vor die Stadt“. Das klingt wie eine ungeheure Zumutung. Sollen wir tatsächlich die Heimatlosigkeit, die Unsicherheit, ja die Lebensbedrohlichkeit „annehmen“? - Vielleicht geht es tatsächlich genau darum, dass wir uns dieser Tatsache stellen; dass wir es aushalten, dass das Leben zutiefst bedroht ist.
Der Text aus dem Hebräerbrief hat seinen Ort in der Passionszeit. Diese Zeit endet nicht mit dem Kreuz an Karfreitag. Diese Zeit endet mit dem Ostersonntag und der Auferstehung. Hinter aller Bedrohung und Krankheit, hinter aller Angst und allem Tod steht das Leben. Mit dieser tiefen Zuversicht, ja mit diesem Lebens-Mut können wir auch die gegenwärtige Zeit bestehen.
Es grüßt Sie sehr herzlich
Ihr
Karsten Gelshorn, Pastor in Stolzenau und Schinna